Ein Rucksack voller Ungleichheit

Ich bin Teil der sogenannten Generation Merkel – nach der Wende geboren, aber mit ihren Spätfolgen aufgewachsen. Es ist ein kollektiver Rucksack, den viele meiner Generation in Ostdeutschland tragen: voller Ungerechtigkeit, Demütigung, gebrochener Biografien und erschwerter Chancen.
Noch immer gibt es im Osten weniger Privateigentum, geringere Löhne, kaum Erbschaften, unsichere Aufstiegsperspektiven. Das prägt Mentalitäten. Und es prägt das politische Klima: Die CDU regierte lange im Alleingang, hielt Politik von den Menschen fern – getreu dem Motto: „Macht mal euren Alltag, wir kümmern uns um den Rest.“ Beteiligung? Politische Bildung? Fehlanzeige.
Wer etwas zu verlieren hat, zieht sich zurück oder sucht einfache Antworten.
Sachsen hat heute die gefestigtsten rechtsextremen Strukturen in ganz Deutschland.
Über ein Drittel der Wähler:innen stört sich daran scheinbar nicht.
Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger politischer Versäumnisse.

Sozialdemokratie – auch unter Druck unverzichtbar

Die SPD hat es in Sachsen nie leicht gehabt – zwischen strukturkonservativer CDU und der postsozialistischen Linken wurde sie oft zerrieben. Aber wir waren immer da. Und wir haben gestaltet: Bildungsticket, Gemeinschaftsschule, das Ende des Personalabbaus im öffentlichen Dienst – das sind sozialdemokratische Erfolge, gegen Widerstände erkämpft.
Nicht alles, was wir wollten, war durchsetzbar. Aber wir haben den Unterschied gemacht.
Und das tun wir noch immer – weil wir wissen: Soziale Gerechtigkeit ist kein Ideal, sondern eine Voraussetzung für Demokratie.

Demokratie braucht Halt – und Haltung

In Gesprächen mit Kolleg:innen aus Westdeutschland merke ich oft, wie viel Erklärungsbedarf es noch gibt. Der Osten bleibt Projektionsfläche – mal fürs Scheitern, mal für das Andere. Dabei geht es nicht um Mitleid oder Sonderbehandlung, sondern um Augenhöhe. Um das Eingeständnis, dass auch drei Jahrzehnte nach der Einheit echte Gleichwertigkeit noch nicht erreicht ist – sozial, politisch, emotional.
Der Rückzug vieler Ostdeutscher aus demokratischen Prozessen ist keine Folge von Faulheit oder Desinteresse. Es ist eine Reaktion auf wiederholte Erfahrungen von Kontrollverlust. Wer nie gelernt hat, dass politisches Engagement etwas verändert, bleibt draußen. Und wer draußen ist, ist anfällig für jene, die keine Demokratie wollen.

Solidarität muss man wollen – und ermöglichen

Solidarität fällt nicht vom Himmel. Sie ist kein Geschenk – sie ist eine Haltung. Und sie ist anstrengend. Denn sie bedeutet, Verantwortung füreinander zu übernehmen – auch, wenn es unbequem ist. Auch, wenn es bedeutet, sich mit den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen. Auch, wenn man nicht sofort profitiert.
Als SPD kämpfen wir dafür. Und wir kämpfen mit denen, die längst jeden Tag dafür einstehen: im Ehrenamt, in der Pflege, in der Schule, im Betrieb, im Stadtrat, im Jugendclub.
Sie sind das Rückgrat unserer Demokratie. Sie brauchen nicht nur Lob – sie brauchen politische Rückendeckung.

Was wir als SPD jetzt tun müssen

Wenn wir es ernst meinen mit dem Anspruch, gesamtdeutsche Volkspartei zu sein, dann dürfen wir die strukturellen Unterschiede zwischen Ost und West nicht länger nur beschreiben – wir müssen sie aktiv abbauen. Nicht durch Sonntagsreden, sondern durch konkrete, mutige Politik:
Ein armutsfester Mindestlohn und flächendeckende Tarifbindung, gerade in den ostdeutschen Dienstleistungsregionen.

* Ein gerechtes Erbschaftssteuerrecht, das Chancengleichheit fördert – nicht dynastischen Reichtum.

* Ein Bundesinvestitionsprogramm für gleichwertige Lebensverhältnisse, das gezielt in Infrastruktur, Bildung und Daseinsvorsorge in strukturschwachen Regionen investiert.

* Ein modernes Demokratieprogramm, das politische Bildung und Teilhabe in ländlichen und postautoritären Räumen nicht als Zusatz versteht, sondern als Grundlage.

* Und nicht zuletzt: Anerkennung. Für die Leistung der Menschen im Osten, für ihre Lebensrealität, ihre Kämpfe, ihre Geduld.

Was uns verbindet, ist größer als das, was uns trennt. Wir alle wollen, dass unsere Kinder es einmal besser haben. Dass man von seiner Arbeit leben kann. Dass Respekt keine Frage der Herkunft ist. Dass man nicht mehr erklären muss, warum man dazugehört.
Deshalb: Schluss mit der alten Erzählung vom „Jammer-Ossi“ und „Besser-Wessi“. Schluss mit dem ewigen Vergleichen. Beginnen wir damit, uns wirklich zuzuhören – und gemeinsam Zukunft zu bauen.
Unser Appell als Netzwerk Berlin
Wir als SPD-Bundestagsfraktion stehen für ein solidarisches, gerechtes, zukunftsgewandtes Land. Als Netzwerk Berlin stehen wir pragmatische und lebensnahe Lösungen, die den Menschen zugute kommen.
Wir wollen:
• gute Bildung und faire Startchancen, egal ob im Dorf oder in der Großstadt,
• sichere Arbeit und gerechte Löhne, auch dort, wo bisher wenig Tarifbindung herrscht,
• Demokratie als Alltagserfahrung, nicht als Sonntagsrede,
• eine solidarische Gesellschaft, die zusammenhält – nicht spaltet.
Wir wollen ein Land, in dem jede und jeder zählt. In dem Aufstieg nicht vom Konto der Eltern abhängt. In dem Zusammenhalt stärker ist als Zynismus. In dem sich Leistung lohnt – aber nicht allein entscheidet.

Ich kämpfe – und wir gestalten gemeinsam

Ich kämpfe, weil ich an ein Land glaube, das nicht gespalten ist in „den Osten“ und „den Westen“, in „die da oben“ und „die da unten“, sondern das neugierig aufeinander bleibt.
Weil ich weiß: Der Frust ist real – aber die Hoffnung ist es auch.
Und weil ich sehe: Überall, in jeder Region, gibt es Menschen, die sich einsetzen – für Gerechtigkeit, für Respekt, für ein besseres Morgen.
Das ist unsere gemeinsame Aufgabe – als SPD, als Gesellschaft, als Demokratie.
Mein Name ist Rasha Nasr.
Ich bin ostdeutsche Sozialdemokratin mit syrischen Wurzeln – und ich weiß, was es heißt, zu kämpfen.
Aber ich weiß auch, was wir erreichen können, wenn wir es gemeinsam tun.
Denn Solidarität fällt nicht vom Himmel.
Wir müssen sie leben – jeden Tag aufs Neue.

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