Die Krisen der Welt gehen an jungen Menschen nicht spurlos vorüber. Mentale Probleme sind in einem zuvor so nicht bekannten Ausmaß unter jungen Menschen verbreitet und wer-den von diesen thematisiert.
Unzweifelhaft gehört zu den Krisen der Welt die veränderte Sicherheitslage in Europa und Deutschland. Nach Jahren des Friedens ist wieder Krieg in Europa durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Damit rückt die Verteidigungsfähigkeit von Deutschland und damit die Bundeswehr in ein neues Licht.
Das ist auch jungen Menschen klar. Denn was heißt Krieg in Europa, was heißt Verteidigungsfähigkeit? Nicht zuletzt: dass sie es sind, die jungen Menschen, die im Ernstfall kämpfen müssten.
Die Wahlergebnisse bei den ostdeutschen Landtagswahlen und der Bundestagswahl bei Erst- und Jungwähler:innen ist vielleicht auch aus diesem Blickwinkel zu einem gewissen Teil erklärbar: viele der jungen Menschen haben ihre Stimmen Parteien gegeben, die ihnen – wie realistisch auch immer das sein mag – einen Einsatz im Krieg zu ersparen scheinen. Die „Frieden“ (mit Russland etc.) versprechen.
Die Zukunftsfähigkeit und die Verteidigungsfähigkeit einer Gesellschaft ist allerdings nicht nur eine Aufgabe der jungen Generation. Weder die massiv gestiegenen Ausgaben für die Verteidigung noch die Wehrfähigkeit können und sollten einseitig einer Generation aufgebürdet werden. Zumal die massiven Belastungen nach der Corona-Pandemie, in der die Stimmen und Bedürfnisse der jungen Menschen oftmals überhört wurden, immer noch nachwirken. Ihnen wurde versprochen, dass es nicht wieder passieren wird, in einer Krise die jungen Menschen einseitig zu belasten.

Was hieße das heute?

* Eine Wehrpflicht oder Dienstjahr nicht ohne junge Menschen diskutieren! Das Recht auf Beteiligung und Gehör in allen sie betreffenden Angelegenheiten darf nicht aus ver-meintlich höheren Zielen beschnitten werden. Insbesondere junge Menschen können in der Debatte wertvolle Impulse sowohl zum „Ob“ des Dienstes geben, wie auch zum „Wie“, wenn dieser denn kommt.
* Rechtsanspruch für alle statt Pflicht! Viele junge Menschen engagieren sich auch heute bereits. Allerdings sind die Einsatzstellen für FSJ und Bufdi- Möglichkeiten begrenzt. Junge Menschen sind sogar demonstrieren gegangen gegen Kürzungen dieser freiwilligen Einsatzmöglichkeiten.
Die immer wieder an sie adressierte Pflicht, sich für die Gesellschaft einzubringen, muss in deren Ohren höhnisch klingen: im Freiwilligenbereich wird gekürzt – aber für eine Pflicht wäre Geld da?
Eine Pflicht wäre um ein Vielfaches teurer und aufwändiger, unterminiert gegebenenfalls sogar die intrinsische Motivation.
Die Ausstattung der bisherigen Freiwilligendienste gestaltet sich mit dem knappen Taschengeld so, dass sich ein junger Mensch heute einen Freiwilligendienst oft „leisten können muss“, indem er sich entweder sehr stark beschränkt oder die Eltern ihm die Zeit als Freiwillige:r finanziell ermöglichen.
Die klügere Lösung kann ein Rechtsanspruch sein: jede Person hat in ihrem Leben das Recht darauf, ein Jahr einen Freiwilligendienst zu absolvieren – entweder bei der Bundes-wehr oder im gesellschaftlichen Bereich. Dies gilt altersunabhängig, d.h. auch ein Mensch im mittleren Alter oder bei Eintritt in die Rente kann sich für die Gesellschaft mit seinen Fähig-keiten einbringen – genauso wie es die jungen Menschen tun können.

Das Jahr im Freiwilligendienst wird finanziell so ausgestaltet, dass den Rechtsanspruch alle
für sich realisieren können und nicht nur diejenigen, die über Rücklagen oder sonstige Einkünfte
verfügen. Ein Deutschlandticket in der Zeit des Dienstjahres ermöglicht die Mobilität
(wie es bei Soldat:innen bereits der Fall ist).
Damit wäre ein deutliches Zeichen gesetzt, dass die gesamte Gesellschaft in der Pflicht
ist, sich einzubringen. Alle würden miteinander die Ausgestaltung diskutieren und nicht nur
die (ältere) Mehrheitsbevölkerung in einem Akt der Zuschreibung über eine junge Generation
verfügen. So wäre es außerdem möglich, den biografisch passenden Zeitpunkt – nach der
Schule, nach der Ausbildung, als Lern- und Reflektionszeit aus einer beruflichen Situation
heraus – individuell zu wählen.
Die Anerkennung des Einsatzes sollte so sein, dass es zur Selbstverständlichkeit für alle gehört,
das Jahr auch tatsächlich zu realisieren.
* Wehrgerechtigkeit: Galt der Grundwehrdienst in seiner früheren Ausgestaltung als Pflicht
nur für junge Männer, so wird aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz heraus heute kaum zu
argumentieren sein, dass nicht alle Geschlechter verpflichtet werden. Um alle Geschlechter
verpflichten zu können, müsste die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, was
wohl auf eine Änderung des Grundgesetzes hinausläuft. Die Hürden dafür sind hoch und es
dauert absehbar lange. Da schnelle Handlungsfähigkeit das Gebot der Stunde ist, erscheint
es noch einmal vorteilhafter, freiwillige Möglichkeiten für alle auszubauen als auf eine Verpflichtung
hinzuarbeiten. Damit wäre aus meiner Sicht auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel
gewahrt, denn ein milderer Eingriff als die Verpflichtung – eben beispielsweise der
Rechtsanspruch – stehen zur Verfügung.
Sollte es trotzdem auf eine Verpflichtung für alle hinauslaufen, ist die Anzahl an Verpflichteten
groß im Vergleich mit dem Stand der heute Grundwehrdienst und Freiwilligendienst Leistenden.
Es stellt sich folglich die Frage, ob diese Anzahl von Dienst Leistenden sinnvoll umgegangen
werden kann und die nötigen Kapazitäten an dieser Stelle sinnvoll eingesetzt wären.
Sollte diese Hürde kompensiert werden mit kürzeren/zu kurzen Ausbildungszeiten, ist weder
dem Land und der Verteidigungsfähigkeit noch den verpflichteten (jungen) Menschen geholfen,
die dann als Reservist:innen formal zwar eventuell zur Verfügung stünden, faktisch allerdings
die tatsächlichen Fähigkeiten im Ernstfall absehbar nicht hätten.
Wenn die (jungen) Menschen ihre Lebenszeit der Bundeswehr und damit uns allen schenken
müssten, dann zu den bestmöglichen Bedingungen in Bezug auf die Qualität und Verwendbarkeit
der Ausbildung. Den individuellen Fähigkeiten und Interessen entsprechend können
so die benötigten Spezialist:innen gewonnen und qualifiziert werden, um die heutigen hybriden
Bedrohungslagen zu parieren.
* Finanzierungsgerechtigkeit: Die Ausgaben für die Verteidigungsfähigkeit des Landes
werden absehbar weiter steigen. Die Schuldenbremse soll dafür reformiert werden bzw. wird
es dieser Tage. So nötig die Ausgaben sind, so gerecht sollte die Schuldentilgung gesamtgesellschaftlich
verteilt werden. Entsprechend ist im Sinne der heute und morgen jungen Menschen
die Solidarität der Älteren einzufordern, dass auch sie ihren gerechten Beitrag erbringen.
Demokratie heißt, dass Menschen, die von Entscheidungen betroffen sind, diese mitgestalten
können. Demnach: nicht über junge Menschen reden, sondern mit ihnen!

Kommentare

Eine Antwort zu “Zur Wehrpflicht in Deutschland – kinderrechtliche und jugendpolitische Perspektiven”

  1. Svenja Kraus04.07.2025

    Die Diskussion um die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder ein soziales Jahr sollte unbedingt breit geführt werden – in der Gesellschaft und in der Politik. Ich würde mich freuen, wenn das Netzwerk dazu beiträgt, mehr Seiten zu beleuchten und schließlich eine sozialdemokratische Antwort für die Zukunft entwickeln würde. Wer ist dabei?

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